Schon ihre erste EP (2015) war ein sehr interessantes Projekt für die junge Künstlerin, die als Tochter zweier klassischer Sänger:innen von klein auf mit Musik umgeben war. Sie enthielt vier Songs, in denen Savage ihre tiefe, reiche Stimme mit Texten voller Unsicherheit und unerledigter Angelegenheiten verschmolz. Die EP erregte schnell die Aufmerksamkeit von Father John Misty (den sie heute liebevoll ihren music dad nennt) und später die von Jenny Hval, die Savage beide daraufhin auf ihre jeweilige Europatournee mitnahmen.
Der Erfolg der EP traf Savage jedoch unvorbereitet und löste eine Art Blockade aus, die ihr Schreiben unterdrückte und schließlich auch ihre psychische Gesundheit beeinträchtigte. An ihrem Tiefpunkt war Savage nicht sicher, ob sie weiterhin Musik machen konnte. In den fünf Jahren zwischen dieser ersten Veröffentlichung und dem aktuellen Album beendete Savage die bereits erwähnte schlechte Beziehung, nahm diverse Gelegenheitsjobs an, zog zweimal um die Welt, machte eine Menge Therapien und setzte sich schließlich wieder von Grund auf zusammen. In den letzten drei Jahren schließlich schrieb sie dann schließlich konzentriert und mit neuer Energie die Musik für ihr Debütalbum A Common Turn (2021), wobei sie diverse Einflüsse und Referenzen zusammenfügte. So ist das Album nun voller persönlicher und kultureller Anspielungen (u.a. auf die Rocky Horror Picture Show, die Spice Girls, weibliche Lust, psychische Gesundheit und eine Keramikeulentasse der schottischen Alt-Rock-Legende Edwyn Collins), die nun wie Talismane in ihre Musik eingewebt sind.
Savage setzte sich während der Arbeit daran nach einem Social-Media-Aufruf von William Doyle (FKA East India Youth 2014 für den Mercury Prize nominiert) mit selbigem in Verbindung, um gemeinsam musikalisch zu experimentieren. Ab dem ersten Treffen war William von den Demos, die Anna ihm mitbrachte, angetan und schließlich verlieh er dem Album das sie selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt für unvollendbar hielt durch seine Production seine endgültige Form. Ihr Werk ist eine Mischung aus Natur und Industrie, aus menschlichem Gefühl und maschineller Dekonstruktion von Erwartungen und Barrieren. Die Musik ist zutiefst verletzlich, ohne unterwürfig zu sein. Die Themen und Motive könnten ihre Songs erdrücken, aber stattdessen erheben sich diese, während sie ihre eigene Zerbrechlichkeit einfordern. Es ist eine berauschende Katharsis, die das Album durchwebt. Es sind Lieder für jeden Menschen, der viel nachdenkt, tief fühlt und große Fragen stellt. Live zu sehen im Wiener B72.